Bauen mit Bestand
Entwurf eines Neubaugebiets mit wiederverwendeten Materialien

Masterarbeit Architektur und Stadtplanung von Robin Eigenmann und Alexander Unterreiner

Die Masterarbeit Bauen mit Bestand zeigt, wie tragende Bauteile systematisch erfasst, geprüft und für neue Bauprojekte wiederverwendet werden können. Sie verbindet ökologische und ökonomische Aspekte zu einem konkreten Verfahren für zirkuläres Bauen. Verfasst wurde die Arbeit von Robin Eigenmann und Alexander Unterreiner am Institut für Leichtbau, Entwerfen und Konstruieren (ILEK), Universität Stuttgart.

Die Weltbevölkerung wächst stetig – und mit ihr der Bedarf an Wohnraum. Der Neubau von Gebäuden erfordert jedoch erhebliche Mengen an Ressourcen, deren Gewinnung häufig mit folgenschweren Eingriffen in die Umwelt verbunden ist.

Die Masterthesis Bauen mit Bestand schlägt eine nachhaltige Alternative vor: Sie versteht die gebaute Umwelt als wertvolles Ressourcenlager. Ziel ist nicht der Abriss und die Entsorgung, sondern die systematische Erfassung, Analyse und Wiederverwendung von Materialien und Bauteilen für neue Projekte. Im Zentrum steht die Erkenntnis, dass Gebäude, die ihre Nutzungsdauer erreicht haben, als Bauteilereservoir für künftige Vorhaben dienen können. Die Arbeit von Robin Eigenmann und Alexander Unterreiner gliedert sich in drei zentrale Schritte:

1.⁠ ⁠Bestandsaufnahme und Katalogisierung

Zunächst werden alle relevanten Materialien und Bauteile im Bestandsgebäude erfasst. Ein detaillierter Bauteilkatalog dokumentiert dabei Mengen, Massen, Maße und Qualitäten der vorhandenen Elemente. Entscheidend ist nicht nur das Potenzial des Bestands, sondern auch der Zustand der Bauteile – um Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit sicherzustellen. Ziel ist es, nicht pauschal wiederzuverwenden, sondern gezielt Komponenten auszuwählen, die unter ökologischen, ökonomischen und statischen Aspekten sinnvoll einsetzbar sind.

2.⁠ ⁠Analyse der Rohbaustruktur und statische Untersuchung

Ein zentraler Fokus der Arbeit liegt auf der Rohbaustruktur – insbesondere dem Stahlbeton, dessen Herstellung mit hohem CO₂-Aufwand verbunden ist. Nach dem Entkernen bleibt im Spendergebäude die tragende Struktur bestehen. Sie wird hinsichtlich statischem System, Deckenspannweiten und weiterer Kenndaten analysiert. Diese Auswertung bildet die Grundlage für unseren Entwurf, indem sie aufzeigt, wo vorhandene Bauteile direkt übernommen, angepasst oder ergänzt werden können. Die ermittelten Maße und Anschlussdetails dienen dabei als Rahmen für ein funktionales und architektonisch schlüssiges Konzept.

3.⁠ ⁠Trennung, Aufbereitung und Wiederverwendung

Auf Basis des entworfenen Konzepts erfolgt die präzise Trennung der Rohbauelemente mithilfe von Sägewerkzeugen nach einem festgelegten Schnittplan. Herausgetrennte Decken-, Wand- und Bodenelemente werden gereinigt, aufbereitet und mit Bohrungen für die Anschlussbewehrungen versehen, bevor sie zur Baustelle des Neubaus transportiert werden. Trotz des Transports per Lkw lassen sich so erhebliche CO₂-Emissionen sowie Material- und Transportkosten einsparen. Eine ökologische und ökonomische Analyse vergleicht den Einsatz wiederverwendeter Bauteile mit konventioneller Ortbetonbauweise. Die Ergebnisse belegen, dass kontextbezogenes Recycling unter Berücksichtigung von Transportdistanzen und Aufbereitung deutlich bessere Umweltbilanzen erzielt und wirtschaftlich wettbewerbsfähig ist.

Die Methodik wurde anhand eines konkreten Projekts im Raum Tübingen erprobt. Im näheren Umfeld stehen mehrere geeignete Spendergebäude zur Verfügung, die die Materialbasis liefern. Der direkte Zugang ermöglichte eine detaillierte Zustandsbewertung und eine realitätsnahe Planung. Die Regionalität minimiert hierbei nicht nur Transportwege, sondern fördert auch die lokale Wertschöpfung und Vernetzung im Bauwesen.

Mit »Bauen mit Bestand« möchten Robin Eigenmann und Alexander Unterreiner einen Beitrag zur Ressourcenschonung im Bauwesen leisten und eine praxisnahe Grundlage schaffen, um nachhaltiges Bauen in den Alltag zu überführen. Das Projekt zeigt: Kreislauffähige Architektur ist technisch machbar und ökonomisch sinnvoll. Es setzt Impulse für zukünftige Bauaufgaben und verdeutlicht, dass wir weniger neu produzieren und mehr umdenken müssen – im Sinne einer verantwortungsbewussten Zukunftsgestaltung.

Dokumentation zur Masterarbeit
Pläne zur Masterarbeit

Andreas Hofer, Intendant IBA’27: »Die Masterarbeit adressiert eines der zentralen Themen der Architektur: die Reduktion grauer Energie durch den bewussten Umgang mit vorhandenen Baumaterialien. Sie spielt dies am Beispiel eines Bauprojekts in Tübingen durch. Dabei schlägt sie vor, eine zum Abbruch bestimmte Siedlung als urbane Mine für einen mehrgeschossigen Wohnungsneubau zu nutzen. Die im Bestand vorhandene Betonstruktur wird akribisch analysiert und in Elemente aufgeteilt, die als Decken und Wände im Neubau wiederverwendet werden können. Bemerkenswert ist das Bewusstsein für bautechnische und logistische Herausforderungen. Für die Stabilität der Konstruktion beim Rückbau, Verstärkungen mit Anschlusseisen und Transport und Lagerung der Bauelemente werden plausible Vorschläge erarbeitet. Die Arbeit zeigt damit auch, welche Herausforderungen sich bei der Wiederverwendung von ganzen Bauteilen stellen.«

Studenten

Robin Eigenmann
Alexander Unterreiner

Betreuer:innen

Prof. Dr.-Ing. M.Arch. Lucio Blandini
Prof. Dipl.-Ing. Jürgen Schreiber
M.Arch. Christoph Nething
M.Sc. Benedikt Strahm
M.Sc. Hannah Schürmann
M.Sc. Silas Kalmbach

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